Am Anfang sprach ich über Alltäglichkeiten...
Die erste Einstellung des Films: Eine Landschaft, die in der Hitze verrinnt, Feuchtigkeit, die über den Asphalt eines ewigen Highways wabert und einen Himmel reflektiert, der so weiß ist wie Schnee – ein Bild zwischen Eiseskälte und tropischen Temperaturen. Im Sumpf der spiegelnden Luftfläche taucht ein Mann auf. Er läuft. Die Luft beginnt zu wabern.
„Lonesome Jim“ die dritte Regie-Arbeit des Kult-Schauspielers Steve Buscemi gibt sich unaufgeregt. Schon der Plot wirkt so ereignislos, dass man sich als Kinogeher fragen könnte, was man eigentlich in diesem Saal zu suchen hat: Ein desillusionierter End-Zwanziger (Casey Affleck), der in New York als Schriftsteller sein Glück suchte, aber nicht finden konnte, und der nun in seine Heimatstadt zurückkehrt. Dort angekommen, offenbaren sich ihm all jene Gründe, aus denen er die Stadt eigentlich verlassen hat: Eltern, mit denen er kein vernünftiges Gespräch zu führen im Stande ist, verlauste Kleinstadtcharaktere und ein selbstmordgefährdeter, geschiedener Bruder. Erst als der einsame James die Krankenschwester Anika (Lyv Tyler) kennen lernt ändert sich sein Leben. So weit, so einfallslos.
...danach sprach ich wieder über Alltäglichkeiten...
Zu allem Überfluss scheint auch die Buscemis Regie-Arbeit anfangs weit davon entfernt, dem uninteressanten Stoff zusätzliche Impulse zu verleihen. Die Erinnerung an „Buffalo ´66“ taucht auf, doch im Gegensatz zu Vincent Gallo gibt sich Buscemi nicht als eigenwilliger Ästhet, sondern ausschließlich eigenwillig: Die Montage wirkt sperrig, die Einstellungen aus eigenwilligen Winkeln scheinen oft willkürlich und entbehren, dank einer Beleuchtung, die jegliche Farbeffekte unterbindet, ästhetischen Aufladung. Doch ebenso wie die Hauptfigur Jim am Anfang des Films durch eine hemmende Schlammlacke zu laufen scheint, um erst langsam wieder auf dem unverzerrten Asphalt anzukommen, gewöhnt man sich langsam an die kauzige Ästhetik des Films und an die Eigenheiten seiner Hauptfiguren. Denn diese Bilder sind schön, weil sie eben nicht versuchen, schöner zu sein, als sie eigentlich sind.
...doch diesmal wusste ich um ihre Tragweite.
Tatsächlich ist es die große Qualität sowohl der Regie als auch des Drehbuchs, in keinem Moment kaschieren zu wollen, dass nichts in dieser Geschichte von großer Bedeutung ist. In keinem Moment versucht Buscemi, die psychischen Entwicklungen seiner Hauptfigur zu dramatisieren. Stattdessen erlaubt er dem Zuseher, sich an diese Welt im Film zu gewöhnen, so lange bis man erkennt, welcher subtile Humor und welche Dramen unter der Decke der Ereignislosigkeit versteckt sind. Wenn Jims Mutter ihren Sohn fragt: „What do we do to make you kids so miserable?“ und ihr Jim mit hängendem Kopf „I don’t know, I guess some people just shouldn’t be parents.“, antwortet, ist das Ergebnis für den Zuseher bewegend, der Film hebt die Szene jedoch in keiner Weise hervor – das Leben richtet sich nach keiner Dramaturgie.
So gesehen bleibt auch die Antwort auf die Frage, was der Zuseher nun eigentlich im Kinosaal zu suchen hat, tendenziell offen: Nichts und alles zugleich.